Physische Gewalt

Unter physischer Gewalt leidet ein Mensch, wenn die Unversehrtheit seines Körpers durch eine oder mehrere Personen absichtlich (also nicht durch Missgeschicke, Zufälle oder Unfälle) verletzt wird. Alle Menschen haben ein Recht auf körperliche Unversehrtheit. Wer dieses missachtet, überschreitet eine Grenze, stellt die persönliche Unabhängigkeit und Selbstständigkeit eines Menschen in Frage - die eines Erwachsenen wie die eines Kindes.
Kinder werden geschlagen. Sie erhalten Ohrfeigen, Schläge auf die Hände oder auf den Hintern, sie werden an den Haaren gezogen, mit den Füssen getreten, mit Teppichklopfern, Kleiderbügeln, Schuhen "gezüchtigt", gewürgt oder haben einzelne Körperteile in eiskaltes oder heisses Wasser zu tauchen. Um Kinder zu bestrafen, finden Erwachsene unzählige Möglichkeiten körperlicher Gewalt - und sie steigern die Härte ihrer Strafen oftmals.
Physische Gewalt wird aber nicht nur von Erwachsenen, sondern auch von Kindern und Jugendlichen an Minderjährigen ausgeübt, sei es als misslungener Konfliktlösungsversuch, als Ausübung von Macht oder als Kompensation eigener Frustrationen.

Umfeld/Ursprung

  • Auch die körperliche Gewalt kommt in allen Gesellschaftsschichten vor und kann eine Reaktion auf chronische oder akute Überforderung oder Frustration sein. Erhebungen zeigen, dass körperliche Strafen auch dann angewendet werden, wenn damit das beabsichtigte Ziel nicht erreicht wird oder sich die Situation sogar noch verschlimmert. Körperliche Bestrafung kann aus ideologischen und pseudopädagogischen Gründen gezielt eingesetzt werden oder eine von den eigenen Eltern unreflektiert übernommene Erziehungsmassnahme sein.
  • Kleinere Kinder sind häufiger Opfer von körperlicher Misshandlung als grössere, Knaben eher als Mädchen.
  • Partnerschaftskonflikte, Gewalt unter Eltern, beengende Wohnverhältnisse, Stress können tiefere Ursachen sein. Ebenso unrealistische Erwartungen und Leistungsansprüche der Eltern an sich und an ihre Kinder.
  • Manche Erwachsene, die in Ihrer Kindheit Opfer von Gewalt waren, neigen später selbst dazu, ihre Kinder zu misshandeln, wenn sie keine andere neuen Wege finden, Konflikte zu lösen.
  • Alkohol und andere Suchtmittel sind häufig nicht der direkte Grund für Gewalt, wirken aber bei Missbrauch stark aggressionsfördernd und vermindern die Selbstkontrolle.
  • Beispiele für Gewalt, die von Minderjährigen an anderen Minderjährigen ausgeübt wird, sind Aussenseiter, die von Stärkeren als Sündenböcke oder Blitzableiter missbraucht werden, Opfer von kriminellen Übergriffen (Raub) und Drohungen um ein Verhalten zu erzwingen, es können aber auch (in der Absicht) harmlosere Formen sein, die zu physischer Gewalt führen, wie ein (Kampf-) Spiel, das ausser Kontrolle gerät, oder die Nachahmung von Gewalt aus den Medien.

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Symptome/Folgen

Physische Gewalt hat nicht nur Auswirkungen auf die körperliche Integrität sondern auch auf das psychische Befinden eines Kindes. Während die unmittelbaren körperlichen Folgen rascher ausheilen können, können die psychischen Folgen eine Entwicklung nachhaltig beeinträchtigen.

Physische Folgen:

  • Körperliche Gewalt kann, muss aber nicht zwingend zu körperlich sichtbaren Verletzungen führen. Zudem kann die Untersuchung solcher Anzeichen erschwert werden, wenn die Eltern oder andere Erziehungsberechtigte häufig das Spital, die Ärztin oder den Arzt wechseln.
  • Widersprüchliche und nicht plausible Erklärungen, das verzögerte Aufsuchen eines Arztes und Wiederholungen solcher Verletzungen sind zusätzliche Alarmzeichen.
  • Die physischen Symptome richten sich nach der Form der Gewalt. (Schütteln von Kleinkindern, Stösse und Schläge mit der Hand oder mit Gegenständen, "Krankmachen" und Medikamentenmissbrauch etc.)
  • Verletzungen im Kopfbereich an nicht-exponierten Stellen, Weichteilverletzungen an atypischen Stellen, Blutergüsse, Frakturen (v.a. bei Kleinkindern), Verbrennungen und Verbrühungen, innere Verletzungen.

Psychische und soziale Folgen

  • Körperliche Gewalt erschüttert zudem das Vertrauen in die Erziehungsberechtigten und das Selbstvertrauen. Das Selbstwertgefühl eines Kindes leidet empfindlich. Schläge machen Kinder schwach. Sie sind wehrlos, und die Entwicklung ihrer Selbstständigkeit, ihres Selbstwertgefühls und ihrer Selbstverantwortlichkeit wird beeinträchtigt.
  • Geschlagen und angegriffen zu werden, löst viele Gefühle aus: Trotz und Widerstand, Wut, Rachewünsche, aber auch Ohnmacht, Angst und Niedergeschlagenheit. Unangemessene Schuldgefühle lassen geschlagene Kinder sich oftmals zurückziehen. Erwachsene, die als Kinder geschlagen wurden, leiden oft weiterhin an ähnlichen Gefühlen: Sie fühlen sich erniedrigt, unglücklich, nicht ernst genommen, nicht geliebt, einsam, nicht akzeptiert, gedemütigt, minderwertig, verletzt, traurig, ungerecht behandelt, ausgestossen. Oft tendieren sie in ihrem späteren leben dazu, eine Opferhaltung einzunehmen.
  • Kinder lernen vom gewalttätigen Verhalten Erwachsener, dass Konflikte mit Gewalt zu bewältigen seien, dass sich Stärkere mit Gewalt gegen Schwächere durchsetzen. Wenden sie selber Gewalt an, sei es als erlerntes Verhalten, um Unsicherheiten zu überspielen oder um ihre gestauten Aggressionen loszuwerden, gefährden sie damit nicht nur andere Kinder, sondern auch ihre eigenen Beziehungen zu Gleichaltrigen und Erwachsenen. Mit Gewalt und Gegengewalt bleiben die Kinder in einem Teufelskreis gefangen.

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